Vatis Schönschreibheft von 1929

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Schreibheft für Sütterlinschrift

Die beiden Weidenkätzchen

von

W. Berger

Januar 1929

Im Janur 1929 war mein Vater gerade neun Jahre alt geworden und noch bis Ostern in der dritten Schulklasse.


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Die beiden Weiden-Kätzchen


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I.

Es wurde Frühling. In einem Aste lagen zwei kleine Weidenkätzchen. Da erwachte das eine, es weckte schnell das andere und sprach: „Du kleine Schlafmütze du, willst du denn nicht aufstehen.“ Das andere Weidenkätzchen aber hatte noch nicht ausgeschlafen, es legte sich auf die andere


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Seite und schlief weiter. Aber das Kätzchen das wach war kratzte an der Tür herum bis sie aufging. Aber o je, o je es war gerade Weihnachten. Es zog schnell sein Köpfchen zurück und schlief weiter. Es hatte zu lange gedauert bis die Tür aufgegangen war, der ganze Weidenbusch hatte


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in diesen[sic] Jahre nicht geblüht. Alle Türchen wollten in diesen[sic] Jahre nicht aufgehen.

II.

Es war nun wieder Frühling geworden. Da erwachte eines der beiden Weidenkätzchen. Es ging zum andern und sprach: „Komm steh schnell auf, daß wir es nicht wieder


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verpassen.“ „O ja komm wir rütteln jetzt beide an der Tür.“ sagte das andere Kätzchen. Dann gingen beide an die Tür und rüttelten. Dabei sagte das eine ein bischen[sic] ängstlich: „Ob es jetzt auch Weihnacht ist.“ Aber damit hatte es kein Recht, es war Frühling. Die Sonne schien


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schön warm vom Himmel.

III.

Als nun die Kätzchen rauskamen lachten sie vor Freude. Sie gingen immer weiter und weiter bis sie nach ein paar Tagen ganz heraus waren. Da kam aufeinmal[sic] eine große Kinderschar. Die Kätzchen fragten den Busch was da


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käme, aber der Busch sprach ruhig: „Fürchtet euch nicht das sind Menschenkinder, die sind im Winter auch schon hier gewesen, da haben sie einen Schneemann gebaut. Wißt ihr aus solchen[sic] Zeug das euch im Winter immer so schön zudeckt.“ Aha, hm, aber das müssen wir uns auch mal


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ansehen sagten die Kätzchen. Aber der Busch sagte: „Ach ihr kleinen Schlafmützen wenn ihr das sehen wollt dann dürft ihr ja garnicht[sic] schlafen.“ Da sagten die Kätzchen: „Können denn die Kinder jetzt keinen Schneemann bauen.“ „Haha ha,“ lachte der Busch, „Jetzt haben sie erstens


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keinen Schnee und zweitens würde der Schnee auftauen.“ Da waren die Kätzchen genarrt. Sie sagten den ganzen Tag nichts mehr, so ärgerlich waren sie.

IV.

Es wurde langsam Spätsommer. Die Kätzchen verloren ihre schöne[sic] Kleider und gingen


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in ihre Bettchen zurück.

V.

Nun war es Herbst. Eines Tages kamen zwei Korbmacher. Sie suchten sich die schönsten und längsten Ruten heraus. Zum Glück wurde die Rute, worin die Kätzchen lagen, nicht mit abgeschnitten, denn diese war


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ein Wenig[sic] schief gewachsen.

VI.

Nach ein paar Wochen kamen zwei Gärtnerlehrlinge. „Hui, wie kalt das ist“ sagte der eine. „Ja - o komm da ist ein schöner Weidenbusch“ sagte der andere Lehrling. Damit meinte er den Weidenbusch, worin die Kätzchen


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lagen. Sie gingen beide hin. „Au“ sagte der eine Lehrling, „ich habe mich in den Finger geschnitten.“ „Ist es denn schlimm“ sagte der andere. „Nein, es ist nicht sehr schlimm, ich werde meinen Finger mal in den Schnee halten“ sagte erstere. Er tat es. Der Schnee wurde schön rot. Sie schnitten auch gerade


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den Ast mit ab, worin die Kätzchen lagen. Als die Kätzchen erwachten waren sie in einem großen, warmen Saal. Sie waren künstlich zum blühen[sic] gemacht. Erst waren die Kätzchen von den Gärtnerlehrlingen in den warmen Saal gebracht. Dann wurden die Kätzchen in Wasser gestellt


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und so waren die Kätzchen aufgeblüht. Nun wurde der Ast woran die Kätzchen waren mit ein paar anderen in einen Kranz gebunden.

VI.


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Es kam bald ein Kunde und holte den Kranz. Er kostete fünf Mark. Nun kam der Kranz in das Haus eines des Kunden. Eines Tages war Beerdigung. Der Kranz (mit den Weidenkätzchen) wurde mit anderen in einen großen Korb gelegt. „Was sollen wir hier,“ sagten die Kätzchen „es ist ja so dunkel hier drin."


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Keiner antwortete den beiden Kätzchen, alles horchte nämlich auf das Lied das gesungen wurde. Es hieß: „Wer weiß wie nahe mir mein Ende.“ Es wurden noch andere Lieder gesungen. Dann wurde der Sarg in das Grab gelassen. Dann wurde Erde darüber geschaufelt. Dann kamen die vielen vielen Kränze auf das Grab.


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Dort bleib er lange liegen.

VII.

Als es wieder Frühling war, wurden alle Kränze von dem Grab genommen. Dann wurden Blumen auf das Grab gesät und geflanzt[sic]. Nun kamen die Weidenkätzchen in den Backofen. Am andern Tage da backte die Frau. Es wurde ein tüchtiges Höllenfeuer


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unter den Backofen gemacht. Die beiden Weidenkätzchen wurden auch mit verbrannt. Wenn das Holz immer so knackte seufste[sic] es. Da kam der kleine Rembrand angelaufen und rief in den Backofen: „Piff, paff“.

Meine Geschichte ist aus, da läuft eine Maus, wer sie fängt kann sich einen großen, großen Pelz daraus machen lassen.

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